Der Wärmesektor macht in Deutschland etwas mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs aus. Davon entfallen etwa 10% auf die Bereitstellung von Fernwärme. Diese wird hauptsächlich durch den Einsatz fossiler Brennstoffstoffe erzeugt, wobei vor allem Erdgas der Hauptenergieträger ist. Die Dekarbonisierung der Fernwärme ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung der Klimaziele im Rahmen der Energiewende. Dies kann durch Digitalisierung vorangetrieben werden, indem unter anderem die Effizienz in bestehenden, mit fossilen Energieträgern betriebenen Anlagen erhöht wird.
Das Projekt KI in Fernwärme
Im Projekt „KI in Fernwärme“ wurden in einer zweiteiligen Workshop-Reihe zehn konkrete Anwendungsfälle erarbeitet. Die benötigte Expertise aus dem Wärmesektor lieferten dabei 34 Teilnehmende mit einem ausgeglichenen Verhältnis aus KI-Lösungsanbietern, FVU, Verbänden und Forschungseinrichtungen. Die KI-Anwendungsfälle wurden gemeinsam analysiert und nach deren Komplexität und Potenzial bewertet. Die Optimierung des Wärmeerzeugerbetriebs und die Optimierung von Kundenanlagen mit Wirkung auf die Primärseite konnten in dieser Studie als die „low hanging fruits“ identifiziert werden.
Die Optimierung des Wärmeerzeugerbetriebs wurde in diesem Projekt prototypisch bei den Stadtwerken Norderstedt implementiert. Dabei wurde deutlich, dass durch eine KI-basierte Wärmelastprognose der durchschnittliche Prognosefehler gegenüber herkömmlichen Prognoseverfahren teilweise um bis zu 25 Prozent gesenkt werden kann. Als besonders performant haben sich dabei Long Short-Term Memory Networks (LSTM), ein spezielles Verfahren beim Training von Künstlichen Neuronalen Netzen, erwiesen. Basierend darauf wurde durch eine mathematische (nicht KI-gestützte) Optimierungsfunktion der beste Erzeugermix für den gegebenen Zeitraum erstellt. Bereits die Implementierung eines solchen Prototyps hat gezeigt, dass durch den Einsatz von KI herkömmliche Prozesse und Systeme optimiert werden können.
Projektblaupause
Das Ziel der Projektblaupause ist es, für FVUs eine strukturierte Vorgehensweise zur Implementierung von KI-Lösungen zu bieten. Das CRISP-DM Modell liefert als etabliertes Rahmenwerk einen systemischen Ansatz zur Durchführung von Datenanalyseprojekten und wird ergänzt durch bewährte Praktiken der KI-Projektentwicklung. Das Modell besteht aus sechs Phasen. Ausführliche Erläuterungen sind dem Leitfaden zu entnehmen.
In der ersten Phase des Modells soll das zentrale Ziel des Projektes definiert werden. Um den Mehrwert bei der Evaluation quantifizieren zu können, muss dafür ein messbarer Wert ermittelt als auch die Zielgruppe definiert werden. Beim Business Understanding ist vor allem die Einbindung der wesentlichen Stakeholder essenziell, um die Ziele und Anforderungen an das Projekt genau zu identifizieren. Die Zielsetzung dieses Projekts war die Einführung einer intelligenten Erzeugereinsatzplanung, um damit proaktiv auf Änderungen im Netz zu reagieren, die optimale Erzeugerwahl zu optimieren und somit die Regelungsstrategie nachhaltig zu verbessern. Die Bewertungskriterien können Prognosegenauigkeit der Vorhersagen, Kostenreduktion sowie Einsparungen der CO2 Emissionen sein.
Diese Phase beinhaltet die Identifizierung und Nutzung geeigneter Datenquellen, der erforderlichen Datenformaten und Datenqualität sowie die Untersuchung durch eine Datenexploration. Die Entwicklung eines Datenverständnisses spielt eine entscheidende Rolle, für den Erfolg des Projekts. Die Verfügbarkeit der relevanten Daten in ausreichender Menge muss sichergestellt sein. Für die Modellierung des Wärmebedarfs sind das unteranderem Sensordaten, Zählerdaten oder Wetterdaten. Die explorative Datenanalyse umfasst dann die intensive Untersuchung der Daten auf Muster oder Auffälligkeiten. Mithilfe von Zeitreihenanalysen zur Wärmelast konnten hier Wochentags-Effekte identifiziert werden. Schließlich wird in der Datenvorbereitung entschieden, welche Daten, in welcher Form, in das Modell einfließen sollen.
Zur Weiterverarbeitung der Daten helfen sogenannte „ETL-Pipelines“. Diese bezeichnen den Prozess aus drei Hauptschritten: Datenextraktion (Extract), Datenumwandlung (Transform) und Datenladung (Load). Die ETL-Pipeline automatisiert diesen Prozess und stellt sicher, dass die Daten im geeigneten Format für die Analyse im Zielsystem abrufbar sind. Im Projekt KI in Fernwärme liefen historische Betriebsdaten, laufende Betriebsdaten, Netzdaten (Live) und Wetterdaten in die ETL-Pipeline. Diese strukturierte Herangehensweise sorgt dafür, dass die Daten für die kontinuierliche Entscheidungsfindung und Optimierung des Fernwärmenetzes zur Verfügung stehen.
Das Modelling ist eine zentrale Phase des CRISP-DM Modell. An dieser Stelle können verschiedene Techniken, wie Baseline-Modelle, Entscheidungsbäume oder Deep Learning zum Einsatz kommen. Nach der Modellauswahl wird dieses mit den vorhandenen Daten trainiert, um es an die spezifischen Muster und Zusammenhänge anzupassen. Oft erfordert dieser Schritt mehrere Iterationen, bei denen das Modell kontinuierlich angepasst und verbessert werden kann. Eine Evaluation überprüft im Anschluss, ob das Modell präzise und zuverlässige Vorhersagen treffen kann. Diese Bewertung erfolgt anhand von verschiedenen Kennzahlen, wie Genauigkeit oder Präzision.
Die Evaluationsphase knüpft direkt bei der Phase des Business Understandings an, um den Erfolg anhand der Rückbeziehung auf die Zielsetzung zu bewerten. Zentrale KPIs im Fernwärmebereich können die prognostizierte Wärmelast, Optimierung der Erzeugerwahl oder die Erkennung von Leckagen sein. Das CRISP-DM Modell sieht einen iterativen Ansatz vor, bei dem die Modellierung und Implementierung kontinuierlich angepasst werden. Werden gesetzte KPIs nicht erreicht, muss entschieden werden, ob das Modell überarbeitet oder ausgetauscht werden muss. Die Auswertung im Projekt zeigte, dass das Long Short-Term Memory Model (LSTM) die besten Vorhersagen für die Lastkurve für die nächsten 24 Stunden liefern konnte.
Der volle Nutzen des CRISP-DM Modells wird erst erreicht, wenn die erstellten Modelle technisch und organisatorisch integriert werden. Eine enge Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung ist für eine erfolgreiche Integration unerlässlich, um geeignete Schnittstellen zu identifizieren als auch die Anforderungen der bestehenden IT-Infrastruktur zu berücksichtigen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Einbeziehung der Nutzerinnen und Nutzer. Positive Benutzererfahrungen sind ausschlaggebend für die Akzeptanz und anschließende Nutzung der entwickelten Modelle.
Daten als Fundament für erfolgreiche KI-Projekte in der Fernwärme
Eine der zentralen Handlungsempfehlungen für erfolgreiche KI-Projekte ist die frühzeitige Investition in eine solide Dateninfrastruktur im Rahmen einer durchdachten Datenstrategie. Eine umfassende Datengrundlage bildet dabei das Fundament für datenbasierte Mehrwertdienste und macht den Einsatz von KI-Modellen kosteneffizienter.
Die Veröffentlichung umfasst darüber hinaus weitere wesentliche Handlungsempfehlungen für FVUs als auch für Anbieter von KI-Lösungen. Diese basieren auf den entwickelten Anwendungsfällen sowie der im Rahmen des Projekts identifizierten Herausforderungen.
Handlungsempfehlungen für FVUs
Neben der zentralen Empfehlung zum Aufbau und Entwicklung einer Dateninfrastruktur und -strategie ergeben sich noch weitere Aspekte, die für das Schaffen von Voraussetzungen sowie die Durchführung von KI-Projekten bei FVUs unerlässlich sein können. Der Aufbau einer ausreichenden Datenmenge erfordert eine umfassende Datensammlung als auch Datenverarbeitung. Der Einsatz von SMGWs zur Übertragung wichtiger Daten sowie die Etablierung einer geeigneten Infrastruktur für einheitliche Datenschnittstellen und -formate kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Um die Akzeptanz und den erfolgreichen Einsatz von KI im Unternehmen zu fördern, sollte außerdem der Aufbau einer positiven Unternehmenskultur nicht vernachlässigt werden.
- Aufbau einer umfassenden Datengrundlage (Primär- & Sekundärseite)
- Entwicklung einer Datenstrategie
- Modernisierung der Erhebung von Netzdaten
- Einsatz von SMGWs zur Übertragung von Erzeugungs-, Netz- und Verbrauchsdaten
- Modernisierung der Datenbanken
- Etablierung einheitlicher Datenschnittstellen und -formate
- Förderung einer positiven Unternehmenskultur in Bezug auf KI
Handlungsempfehlungen für KI-Lösungsanbieter
Anbieter von KI-Lösungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Digitalisierung von Fernwärmenetzen. Die Verwendung offener Standards und die Entwicklung von Standardprodukten für die Branche können die Flexibilität und Skalierbarkeit sicherstellen, um eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Fernwärmenetze zu fördern. Regulatorische Anforderungen (z.B. AI-Act) sollten bei der Produktentwicklung stets berücksichtigt werden.
- Mit offenen Standards arbeiten
- Standardprodukte schaffen
- Ökonomischen und ökologischen Nutzen priorisieren
- Europäische Leitplanken bei der Entwicklung von KI-Lösungen beherzigen
Umfrageergebnisse zum Stand der Digitalisierung bei Fernwärmeversorgungsunternehmen
Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Schritt zur Transformation des Energiesystems und zur Erreichung der Klimaziele. Im Rahmen des Projekts wurde daher eine Befragung zum Digitalisierungsgrad in FVUs durchgeführt. Die Ergebnisse lieferten einen wichtigen Überblick über den Status quo bei ca. 10 % der Wärmeversorger in Deutschland. Weiterhin konnten wesentliche Handlungsempfehlungen für digitale Transformationsprozesse abgeleitet werden.
Publikationen
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat die dena zur Umsetzung des Projekts beauftragt. Das Projekt wird gemeinsam mit dem Start-up RAUSCH Technology und den Stadtwerken Norderstedt durchgeführt. Das Projekt wird Mitte 2024 abgeschlossen.